Bete für mich nicht! Ich bin verdammt!
Brief aus dem Jenseits
Unter den Papieren einer Klosterfrau, die jung starb, fand sich folgende Niederschrift:
Ich hatte eine Freundin. Das heisst, wir standen uns nahe vom gleichen kaufmännischen Büro hier in München, wo wir nebeneinander arbeiteten.
Als sich Anni später verheiratete, habe ich sie nie mehr gesehen. Es herrschte ja im Grunde von
jeher mehr Freundlichkeit als Freundschaft zwischen uns. So vermisste ich sie eigentlich wenig, als sie nach ihrer Verehelichung in ein Villenviertel von München zog, das weit von meiner
Behausung entfernt lag.
Während ich im Herbst 1937 am Gardasee meinen Urlaub verbrachte, schrieb mir meine Mutter gegen Ende der zweiten Septemberwoche:
„Denke dir, Anni N. ist gestorben. Bei einem Autounfall kam sie ums Leben. Gestern wurde sie im Waldfriedhof beerdigt”.
Diese Nachricht erschreckte mich. Ich wusste, dass Anni nie recht religiös gewesen. War sie, als Gott sie plötzlich abrief, vorbereitet?
Am folgenden Morgen besuchte ich in der Hauskapelle der Schwesternpension, wo ich wohnte, die hl. Messe für sie, betete innig für ihre Seelenruhe und opferte auch die hl. Kommunion nach dieser
Meinung auf. Aber den ganzen Tag verspürte ich ein gewisses Unbehagen, das sich gegen Abend noch steigerte.
Ich schlief unruhig. Schliesslich erwachte ich wie von einem heftigen Pochen. Ich drehte das Licht an. Die Uhr auf dem Nachttischchen zeigte 10 Minuten nach Mitternacht. Doch nichts war zu sehen.
Kein Laut ging im Hause. Nur die Wogen des Gardasees klatschten eintönig an die Ufermauern des Pensionsgartens. Vom Wind war nichts zu hören. Und doch hatte ich beim Erwachen, ausser dem Pochen,
ein windförmiges Geräusch zu vernehmen geglaubt, ähnlich dem, wenn mir mein Chef im Büro übelgelaunt einen lästigen Brief aufs Pult wirft.
Ich besann mich einen Augenblick, ob ich aufstehen sollte. Ach was, sagte ich mir entschieden: „Das ist deine überhitzte Phantasie vom Todesfall her”. Ich wandte mich um, betete einige
„Vaterunser” für die Armen Seelen und schlief wieder ein. Und mir träumte:
Ich sei am Morgen gegen 6 Uhr aufgestanden und wollte in die Hauskapelle, als ich mit dem Fuss beim Öffnen der Zimmertür an einen Bund loser Briefblätter stiess. Sie aufheben, Annis Schrift
erkennen, einen Schrei ausstossen, war eins. Zitternd hielt ich die Blätter in Händen. Ich begriff, dass ich in dieser Stimmung kein „Vaterunser” über die Lippen brächte. Zudem überfiel mich ein
erstickendes Gefühl.
So wusste ich nichts Besseres zu tun, als ins Freie zu flüchten. Ich ordnete etwas das Haar, steckte den Brief ins Täschchen und verliess das Haus. Draussen klomm
ich den Weg empor, der sich jenseits der Autostrasse, der berühmten ‘Gardesana’, zwischen Ölbäumen, Villengärten und Lorbeerstauden bergan windet.
Der Morgen stieg leuchtend herauf. Sonst sog ich hier alle hundert Schritte den herrlichen Ausblick ein, der sich von hier auf den See und die märchenschöne Gardainsel bietet. Die sprichwörtliche Bläue des Wassers labte mich immer wieder. Und wie ein Kind den Grossvater, so staunte ich sonst den grauen Monte Baldo an, der sich am anderen Ufer langsam emporhebt von den 64 Metern Seespiegelhöhe bis über 2200.
Jetzt hatte ich für all dies kein Auge. Mechanisch liess ich mich nach einer Viertelstunde Wegs auf eine Bank fallen, die an zwei Zypressen lehnte, wo ich noch am Vortage belustigt Federers
„Jungfer Therese” gelesen. Zum erstenmal empfand ich nun die Zypressen als Totenbäume, als was sie mich im Süden, wo sie häufig vorkommen, vordem nie angemutet.
Ich griff nach dem Brief. Die Unterschrift fehlte. Aber es war unverkennbar Annis Schrift. Selbst der weit ausgreifende ‘S’-Schnörkel und das französisch geformte ‘T’ fehlten nicht, das sie sich,
um Herrn Gr. zu ärgern, im Büro angeeignet hatte. Der Stil war nicht der ihre. Wenigstens sprach sie nicht wie gewöhnlich. Denn sie verstand ungemein liebenswürdig zu plaudern und aus blauen
Augen neben ihrem niedlichen Stumpfnäschen zu lachen. Nur wenn wir über religiöse Fragen stritten, konnte sie giftig werden und dem harten Tonfall dieses Briefes verfallen. (Ich bin jetzt
selbst in die aufgepeitschte Sprechweise ihres Briefes hineingekommen). Ihr Schreiben aus dem Jenseits setze ich Wort für Wort her, wie ich es im Traum gelesen. Es lautete also:
Klara, bete nicht für mich!
Klara! Bete nicht für mich. Ich bin verdammt! Wenn ich es dir mitteile und dir des längern darüber berichte, glaube nicht, es geschehe aus Freundschaft. Wir lieben hier niemand mehr. Ich tue es wie gezwungen. Tue es als ‘Teil von jener Macht, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft’.
In Wahrheit möchte ich auch dich in diesem Zustand landen sehen, worin ich jetzt auf ewig Anker geworfen. Sei nicht verdutzt über diese Absicht. Wir denken hier so.
Unser Wille ist im Bösen – was ihr eben ‘böse’ nennt – versteinert. Selbst wenn wir etwas ‘Gutes tun’, wie ich jetzt, indem ich dir über die Hölle die Augen aufreisse, geschieht es nicht in guter
Absicht.
Erinnerst du dich noch, vor vier Jahren lernten wir uns in München kennen. Du zähltest 23 und warst ein halbes Jahr in dem Büro, als ich dort eintrat. Du halfst mir oft aus der Verlegenheit;
gabst mir als Anfängerin manch guten Wink. Aber was heisst ‘gut’! – Ich lobte damals deine ‘Nächstenliebe’. Lächerlich! Dein Helfen entsprang reiner Grosstuerei, wie ich übrigens schon damals
vermutete. – Wir anerkennen hier nichts Gutes. An niemand.
Jugendliche Jahre
Meine Jungendzeit kennst du. Einige unerzählte Lücken fülle ich hier aus. Nach dem Plane der Eltern hätte ich eigentlich gar nicht sein sollen. Es ‘passierte ihnen eben ein Unglück’.
Meine beiden Schwestern zählten bereits 14 und 15 Jahre, als dem Licht zustrebte. Wäre ich nicht geworden! Könnte ich mich jetzt vernichten, diesen Qualen entrinnen! Keine Wollust käme der gleich, womit ich mein Dasein zerrisse wie ein Aschengewand, dass seine Fetzen in nichts zerflattern.
Aber ich muss sein. Muss so sein, wie ich mich gemacht habe: mit verfehltem Daseinsziel.
Als Vater und Mutter, noch ledig, vom Lande in die Stadt gezogen waren, hatten beide die Fühlung mit der Kirche verloren. Es war auch besser so. Sie schlossen sich kirchlich ungebundenen Kreisen
an.
Bei einem Tanzvergnügen lernten sie sich kennen und ‘mussten’ ein halbes Jahr später heiraten.
Bei der Trauung ist an ihnen nur so viel Weihwasser hängengeblieben, dass es die Mutter ein paarmal jährlich zur Sonntagsmesse in die Kirche zog. Recht beten hat sie mich nie gelehrt. Sie ging
auf in Sorgen des Alltags, trotzdem unsere Lage nicht drückend war.
Solche Wörter wie Beten, Messe, Weihwasser, Kirche schreibe ich mit einem inneren Ekel ohnegleichen! Ich verabscheue das wie die Kirchenspringer, alle Mensch und
Dinge überhaupt. Denn aus allem erwächst uns Qual.
Jede beim Hinschied empfangene Erkenntnis, jede Erinnerung Erlebtes und Gewusstes ist uns eine Stichflamme. Und alle Erinnerungen drehen jene Seite uns zu, die an ihnen Gnade war. Die wir verschmähten. Wie das peinigt!
Wir essen nicht, wir schlafen nicht, wir gehen nicht mit Füssen. Seelisch angekettet, starren wir mit „Heulen und Zähneknirschen” auf unser verpfuschtes Leben.
Hassend und gepeinigt. Hörst du! Wir trinken hier den Hass wie Wasser. Auch gegeneinander.
Am meisten hassen wir Gott. Ich will es dir begreiflich machen. Die Seligen im Himmel müssen ihn lieben. Denn sie schauen ihn schleierlos in seiner blendenden
Schönheit. Das beseligt sie unbeschreiblich. Wir wissen das und diese Erkenntnis macht uns rasend.
Die Menschen auf Erden, die Gott aus Schöpfung und Offenbarung erkennen, können ihn lieben; gezwungen sind sie nicht. Der Gläubige – knirschend schreibe ich es
nieder – der sinnend Christus am Kreuze ausgespannt betrachtet, wird ihn lieben.
Wem aber Gott nur nahetritt als der Strafende, Rächende, Gerechte, einst von uns Verworfene, im Ungewitter, wie uns: der hasst ihn. Mit der vollen Wucht seines bösen Willens. Ewig. Kraft des freiwilligen Entschlusses, von Gott abgewandt zu sein, womit wir unsere Seele sterbend ausgehaucht. Und den wir auch jetzt nicht zurückziehen und nie werden zurückziehen wollen.
Verstehst du jetzt, warum die Hölle ewig währt? Weil unsere Hartnäckigkeit nie wegschmilzt!
Gottes Barmherzigkeit den Verdammten gegenüber
Gezwungen füge ich bei, dass Gott selbst gegen uns auch barmherzig ist. Ich sage ‘gezwungen’. Denn schreibe ich diesen Brief auch gewollt, ist es mir doch nicht gestattet zu lügen, wie ich gerne möchte. Vieles bringe ich gegen meinen Willen zu Papier. Auch die Flut der Schmähungen, die ich ausspielen wollte, muss ich herunterwürgen.
Gott war gegen uns barmherzig dadurch, dass er auf Erden unsern schlechten Willen nicht so sich ausleben liess, als wir dazu bereit gewesen wären. Das hätte unsere
Schuld und Strafe vergrössert. Er liess uns vorzeitig sterben, wie mich, oder andere mildernde Umstände eintreten.
Jetzt erweist er sich gegen uns barmherzig, indem er uns nicht zwingt, ihm näher zu treten, als eben in diesem entfernten Höllenort, was die Qual verringert.
Jeder Schritt Gott näher verursachte mir grössere Pein als dir ein Schritt näher einem brennenden Scheiterhaufen.
Du hast dich entsetzt, als ich dir auf einem Spaziergang einst erzählte, mein Vater habe wenige Tage vor meiner Erstkommunion bemerkt: ‘Sorg, Annerl, dass du ein hübsches Kleid bekommst; das andere ist doch alles Schwindel’. Ich hätte mich ob deinem Schreck fast selbst geschämt. Jetzt lache ich darüber.
Das einzige Vernünftige bei dem Schwindel war, dass man uns erst mit zwölf Jahren zur Kommunion zuliess.
Ich war damals bereits eingenommen genug von Weltlustigkeit, dass ich das Religiöse leichten Herzens hintansetzte; mir aus der Kommunion nicht viel machte.
Dass manche Kinder jetzt schon mit sieben Jahren zur Kommunion gehen, versetzt uns in Wut. Wir tun alles, den Leuten weiszumachen, es fehle den Kindern an Verständnis dafür. Sie müssen erst einige Todsünden begangen haben!
Dann schadet ihnen der weisse Herrgott nicht mehr so, wie wenn Glaube, Hoffnung und Liebe – Pfui darüber! – noch von der Taufe im Kindesherzen lebendig sind. Erinnerst du dich, dass ich diesen Standpunkt schon auf Erden vertreten?
Erinnerung an den Vater
Ich erwähnte meinen Vater. Er lag mit der Mutter oft im Streit.
Ich habe es dir nur selten angetönt; ich schämte mich darob. Lächerliches Ding, die Scham! Uns ist hier alles gleich.
Sie schliefen auch nicht mehr im selben Zimmer, sondern ich bei der Mutter; Vater in der Kammer nebenan, wo er jederzeit nachts heimkommen konnte.
Er trank viel und vertrank unser ganzes Vermögen. Die beiden Schwestern waren in Stellung und brauchten ihr Geld selber, sagten sie.
Die Mutter begann zu verdienen. Im letzten Lebensjahr hat Vater die Mutter oft geschlagen, wenn sie ihm nichts geben wollte. Gegen mich war er immer lieb.
Eines Tages – das habe ich dir erzählt, und du hast dich damals über meine Verwöhntheit geärgert; worüber hast du dich an mir nicht geärgert! – eines Tages also trug er sogar zweimal gekaufte Schuhe wieder zurück, sie umzutauschen, weil mir Form und Absätze nicht modern genug waren.
In der Nacht, wo ein Schlaganfall meinen Vater zu Tode traf, geschah etwas, das ich aus Angst vor einer unliebsamen Auslegung dir nie anvertrauen mochte. Doch nun sollst du es wissen. Es ist
schon darum denkwürdig, weil ich damals zum ersten Male von meinem jetzigen Quälgeist angesprochen wurde.
Ich schlief in der Kammer bei meiner Mutter. Ihre regelmässigen Atemzüge verrieten ihren tiefen Schlaf. Da hörte ich mich plötzlich beim Namen rufen. Eine unbekannte Stimme spricht: „Was ist,
wenn der Vater stirbt!” Ich liebte den Vater nicht mehr, seit er die Mutter so grob behandelte; wie ich überhaupt schon damals eigentlich niemand liebte, sondern nur an einigen hing, die gut zu
mir waren.
Liebe ohne Aussicht auf irdischen Gegengewinn lebt nur in den Seelen, die im Stand der Gnade sind. Das war ich nicht. So antwortete ich auf die geheimnisvolle Anrede, ohne mir Rechenschaft zu geben, woher sie kam: „Er stirbt doch nicht!”
Nach einer kurzen Pause wiederum dieselbe klar vernommene Frage. – „Er stirbt doch nicht!” entfuhr es mir abermals unwirsch. Zum dritten Male wurde ich aufgefordert: „Was ist, wenn der Vater stirbt?”
Mir schwebte vor Augen, wie Vater oft angetrunken heimkam, lärmte, die Mutter misshandelte, wie er uns vor den Leuten in eine missliche Lage gebracht. So schrie ich trotzig „Dann ist es recht!” – Da wurde alles still.
Am folgenden Morgen, als Mutter in Vaters Zimmer aufräumen wollte, fand sie die Tür verschlossen. Gegen Mittag brach man auf. Der Vater lag halb angekleidet auf dem Bett, als Leiche: Beim
Bierholen im Keller muss er sich erkältet haben. Er kränkelte schon seit langem.
Mädchenbund
Martha K. und du bewogen mich, dem Mädchenbund beizutreten. Ich habe zwar nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich die Belehrungen der beiden Leiterinnen, der Damen X, reichlich pfarrermässig fand. Die Spiele waren unterhaltsam. Ich behauptete dabei bald, wie du weisst, eine führende Rolle. Das behagte mir. Auch die Ausflüge gefielen mir.
Ich liess mich selbst einige Male bewegen, zur Beichte und Kommunion zu gehen. Eigentlich hatte ich nichts zu berichten. Gedanken und Reden fielen bei mir nicht auf die Waagschale... Zu gröberer
Taten war ich noch nicht weit genug.
Du mahntest mich einmal: „Anni, wenn du nicht betest, gehst du verloren!” Ich betete freilich wenig. Und auch das nur ungern.
Du hattest nun allerdings recht. Alle, die in der Hölle brennen, haben nicht gebetet oder nicht genug gebetet.
Das Gebet ist der erste Schritt zu Gott. Es bleibt der entscheidende. Besonders das Gebet zu derjenigen, die Christi Mutter war, deren Namen wir nicht nennen. Die Andacht zu ihr entreisst dem Teufel zahlreiche Seelen, die ihm die Sünde unfehlbar in die Hände gespielt hätte.
Beten – ist das Leichteste
Wütend fahre ich fort – weil ich muss – : Beten ist das Leichteste, was der Mensch tun kann auf Erden.
Und gerade an dieses Leichteste hat Gott das Heil geknüpft. Wer beharrlich betet, dem gibt er allmählich so viel Licht, stärkt ihn dermassen, dass sich auch der versumpfteste Sündenbock schliesslich endgültig erheben kann. Und steckte er bis zum Halse im Schlamme. Ich habe in den letzten Lebensjahren überhaupt nicht mehr recht gebetet und so mich der Gnaden beraubt, ohne die niemand selig wird.
Hier erhalten wir keine Gnade mehr. Doch selbst, wenn wir sie erhielten, hohnlachend wiesen wir sie zurück.
Alle Schwankungen des Erdendaseins haben im Jenseits aufgehört.
Bei euch auf Erden kann der Mensch vom Stand der Sünde in den Stand der Gnade rutschen. Von der Gnade in die Sünde fallen. Oft aus Schwäche; zuweilen aus Bosheit. Mit dem Tod hat dieses in der Unvollkommenheit des irdischen Menschen fussende Auf- und Abtanzen ein Ende gefunden. Der Endzustand ist erreicht.
Schon mit den zunehmenden Jahren werden die Sprünge kleiner. Es ist wahr, bis zum Tode kann man sich Gott zuwenden oder ihm den
Rücken kehren.
Doch fast zwangsläufig entschliesst sich der Mensch mit den letzten, verzitternden Willensregungen vor dem Verscheiden so, wie er es im Leben gewohnt war. Gute oder böse Gewohnheit ward zur zweiten Natur. Diese reisst ihn fort.
So auch mich. Ich lebte seit Jahren von Gott abgekehrt. So entschied ich mich beim letzten Gnadenruf gegen Gott.
Nicht, dass ich oft sündigte, ward mir zum Verhängnis, sondern dass ich nicht mehr aufstehen wollte.
Du hast mich mehrmals zum Anhören der Predigt und zum Lesen frommer Bücher gemahnt. Ich fände keine Zeit dazu, lautete regelmässig mein Bescheid. Hätte ich meine innere Unsicherheit noch vermehren sollen?
Ich muss übrigens feststellen: als es einmal so weit war, wie kurz vor meinem Austritt aus dem Mädchenbund, da wäre es mir ungeheuer schwer gefallen, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich fühlte
mich unsicher und unglücklich. Doch vor der Umkehr starrte eine Mauer. Das musst du nicht erkannt haben. Du hast es dir so einfach vorgestellt, da du einmal sagtest: „Leg doch eine gute Beicht ab, Anni, und alles ist wieder gut!” Ich ahnte, dass es so wäre. Aber Welt, Teufel und Fleisch hielten mich schon zu fest in den Klauen.
An den Einfluss des Teufels glaubte ich nie
An den Einfluss des Teufels glaubte ich nie. Und jetzt bezeuge ich, dass er solche Menschen, wie ich damals einer war, gewaltig beeinflusst.
Nur viele Gebete anderer und meiner selbst, verbunden mit Opfer und Leiden, hätten mich ihm entreissen können. Und auch das nur allmählich.
Gibt es wenig äusserlich Besessene, so wimmelt es von innerlich Besessenen. Der Teufel kann denen, die sich seinem Einfluss hingeben, den freien Willen nicht rauben. Doch zur Strafe für ihren gleichsam grundsätzlichen Abfall von Gott lässt dieser es zu, dass der ‘Böse’ sich in ihnen einnistet.
Ich hasse auch den Teufel. Dennoch gefällt er mir, weil er euch zu verderben sucht; er und seine Helfershelfer, die mit ihm am Anfang der Zeit gefallenen
Geister.
Sie zählen nach Millionen. Sie schweifen auf der Erde umher, dicht wie ein Mückenschwarm, und ihr ahnt es kaum.
Wir, die verworfenen Menschen, haben euch nicht zu versuchen; das kommt den gefallenen Geistern zu. Es vermehrt zwar ihre Qual noch jedesmal, dass sie eine Menschenseele in die Hölle herunterreissen. Aber was tut der Hass nicht!
Trotzdem ich gottferne Pfade beschritt, ging Gott mir nach. Ich ebnete der Gnade den Weg durch natürliche Liebesdienste, die ich durch Neigung meines Naturells nicht selten verrichtete.
Zuweilen lockte mich Gott in eine Kirche. Da empfand ich es wie Heimweh.
Als ich die kränkelnde Mutter pflegte, trotz der Arbeit im Büro tagsüber, und mich wirklich einigermassen aufopferte, wirkten diese Lockungen Gottes mächtig.
Einmal, in der Spitalkirche, wohin du mich über die Mittagszeit mitgenommen, überkam es mich so, dass es nur einen Schritt zu meiner Bekehrung gebraucht hätte. Ich weinte.
Aber dann flutete die Weltfreude wieder über die Gnade hinweg. Der Weizen erstickte in den Dornen.
Mit der Erklärung, Religion sei Gefühlssache, wie es im Geschäft immer hiess, schob ich auch diese Gnadenerneuerung, gleich den übrigen, unter den Tisch.
Du hast mich einmal getadelt, weil ich, anstatt einer Kniebeugung bis zum Boden, nur einen formlosen Knicks machte, du hieltest dies für Trägheit, schienst nicht zu vermuten, dass ich bereits damals nicht mehr an die Gegenwart Christi im Sakrament glaubte.
Jetzt glaube ich daran, aber rein natürlich, so wie man an ein Ungewitter glaubt, wovon man die Folgen wahrnimmt.
Ich habe mir selbst eine Religion zurechtgelegt
Inzwischen hatte ich mir selbst eine Religion zurechtgelegt.
Ich hielt zur Ansicht, die bei uns im Geschäft gang und gäbe war, die Seele erstehe nach dem Tode in einem anderen Wesen. So wandre sie endlos weiter (Reinkarnation). Damit war die bange Frage nach dem Jenseits zugleich untergebracht und mir unschädlich gemacht.
Warum hast du mich nicht ans Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus erinnert, die der Erzähler, Christus, unverzüglich nach dem Tode, den einen zur Hölle, den andern zum Paradies fahren
lässt? Aber was hättest du erreicht? Nicht mehr als mit deinen anderen bigotten Reden (Luk 16,19).
Allmählich bastelte ich mir selbst einen Gott zurecht; ausgestattet genug, um ‘Gott’ zu heissen; mir fern genug, um keine Beziehungen zu ihm unterhalten zu müssen; verschwommen genug, um sich
nach Bedürfnis, ohne meine Religion zu wechseln, zum pantheistischen ‘Weltgott’ ausdehnen oder zum deistischen ‘Hagestolz ’ verdichten zu lassen.
Dieser ‘Gott’ hatte mir keinen Himmel zu schenken und keine Hölle zu verabfolgen. Ich liess ihn in Ruhe. Darin bestand meine Anbetung an ihn.
‘Was man liebt, das glaubt man gern!’ Im Lauf der Jahre hielt ich mich ziemlich von meiner Religion überzeugt. Es liess sich damit leben.
Nur eines hätte ihr das Genick gebrochen: ein tiefes langes Leid. Und dieses Leid kam nicht! Verstehst du jetzt, was es heisst: „Wen Gott liebt, den schlägt er?”
Der Freundin den Buben ausgespannt
Es war an einem Sommertag im Juli, als der Mädchenbund einen Ausflug nach A. veranstaltete. Der Ausflug wäre mir schon recht gewesen. Aber das blöde Gerede und fromme Getue!
Ein anderes Bild als das der Gnadenmutter von A. stand seit kurzem auf dem ‘Altar’ meines Herzens: der flotte Max N. vom Kaufhaus nebenan. Wir hatten kurz vorher mehrmals miteinander geschäkert.
Eben für jenen Sonntag hatte er mich zu einem Ausflug eingeladen. Die, mit der er gewöhnlich ging, lag im Krankenhaus.
Er hatte wohl gemerkt, dass ich ein Auge auf ihn geworfen. Ihn zu heiraten dachte ich damals noch nicht. Er war zwar wohlhabend, aber mir zu freundlich gegen alle
möglichen Mädchen. Und ich wollte bis dahin immerhin noch einen Mann, der mir allein gehörte: nicht nur Frau, sondern einzige Frau sein. Ein gewisser natürlicher Abstand blieb ja stets
eigen.
Beim erwähnten Sonntagsausflug überbot sich Max in Liebenswürdigkeiten. Keine pfäffischen Gespräche wurden geführt wie bei euch. Andern Tags, im Büro, hast du mir
Vorwürfe gemacht, weshalb ich nicht mit euch nach A. gegangen. Ich schilderte dir mein Sonntagsvergnügen. Deine erste Frage lautete: „Warst du in der Messe?” – Närrin, wie konnte ich, da die
Abfahrt schon auf 6 Uhr vereinbart war!
Weisst du noch, wie ich gereizt hinzufügte: „Der liebe Gott denkt nicht so kleinlich wie eure Pfaffen!” Jetzt muss ich bekennen: Gott nimmt es bei all seiner
endlosen Güte genauer als sie alle.
Nach jenem ersten Ausflug mit Max kam ich noch einmal in den Bund. An Weihnachten für die Feier. Es zog mich manches zurück. Aber innerlich war ich euch schon
entfremdet. Kino, Tanz, Ausflüge, eins folgte aufs andere. Max und ich zerstritten uns zwar einige Male. Doch ich wusste ihn immer wieder an mich zu fesseln.
Äusserst lästig fiel mir die Nebenbuhlerin, die, aus dem Spital zurückgekehrt, sich wie rasend gebärdete.
Eigentlich zu meinem Glück, denn meine vornehme Ruhe machte mächtigen Eindruck auf Max und gab schliesslich den Ausschlag, mich vorzuziehen.
Ich hatte es verstanden, sie bei ihm schlecht zu machen, kühl redend; äusserlich sachlich, innerlich Gift speiend.
Solche Gefühle und solches Tun bereiten trefflich auf die Hölle vor. Sie sind teuflisch im besten Sinn des Wortes.
Warum erzähle ich das? Um zu berichten, wie ich von Gott endgültig loskam.
Nicht dass es übrigens sehr oft zu letzten Vertraulichkeiten zwischen mir und Max gekommen wäre. Ich begriff, dass ich mich in seinen Augen herabsetzte, wenn ich mich vor der Zeit austrinken liesse. Deshalb hielt ich zurück.
Aber an sich war ich, sooft ich es für nützlich erachtete, jederzeit zu allem bereit. Ich musste Max erobern. Dazu war nichts zu teuer. Zudem liebten wir uns
allmählich, da wir beide manch wertvolle Eigenschaften besassen, die wir aneinander achten konnten. Ich war gewandt, tüchtig, gute Gesellschafterin. So bekam ich Max fest in die Hand, dass ich
ihn wenigstens in den letzten Monaten vor der Heirat, allein besass.
Darin bestand mein Abfall von Gott, ein Geschöpf zu meinem Abgott zu erheben. Nirgends kann das so allumfassend geschehen wie bei der Liebe zu einem
Menschen des anderen Geschlechts, falls diese Liebe im Irdischen stecken bleibt. Das macht ihren Reiz aus, ihren Stachel und ihr Gift.
‘Die Anbetung’ die ich Max zollte, wurde mir zur gelebten Religion.
Es war die Zeit, wo ich im Büro giftig über Kirchenspringen, Geistliche, Ablässe, Rosenkranzgeplapper und ähnlichen Krimskram herfiel.
Du hast dich mehr oder weniger geistreich bemüht, diese Dinge in Schutz zu nehmen, scheinbar nicht ahnend, dass es sich bei mir zutiefst gar nicht um diese Dinge drehte, dass ich vielmehr einen Stützpunkt gegen mein Gewissen suchte – ich brauchte ihn damals noch –, um meinen Abfall auch verstandesmässig zu rechtfertigen.
Im Grunde revoltierte ich gegen Gott. Das sahst du nicht ein. Du hieltest mich immer noch für katholisch. Ich wollte auch so heissen; zahlte sogar die
Kirchensteuer. Eine gewisse ‘Rückenversicherung’ konnte ja nicht schaden, dachte ich. Deine Antworten mochten zuweilen treffend sein. An mir glitten sie ab, weil du nicht recht haben
durftest!
Angesichts dieser zerschnittenen Beziehungen war unser Trennungsschmerz gering, als wir durch meine Verheiratung auseinanderkamen.
Endgültiger Weggang von Gott
Vor der Trauung beichtete ich noch einmal und kommunizierte. Es war eben vorgeschrieben. Ich und mein Mann dachten hierin gleich. Warum sollten wir diese Förmlichkeit nicht erledigen?
Wir erledigten sie wie eine andere Förmlichkeit. Ihr nennt das unwürdig. Nach jener "unwürdigen Kommunion" Kommunion hatte ich mehr Ruhe im Gewissen. Es war übrigens die letzte.
Unser Eheleben verlief im allgemeinen recht harmonisch. Wir waren in allen Punkten so ziemlich derselben Meinung. Auch darin, dass wir uns die Last von Kindern nicht
aufbürden wollten.
Im Grunde hätte zwar mein Mann gerne eines gehabt – natürlich nicht mehr. Ich wusste ihn schliesslich auch davon abzubringen.
Kleider, feine Möbel, Teestuben, Autofahrten und ähnliche Zerstreuungen lagen mir näher. Es war ein vergnügtes Erdenjahr zwischen der Trauung und meinem jähen Tode.
Jeden Sonntag fuhren wir aus oder machten Besuche bei Verwandten des Mannes. (Meiner Mutter schämte ich mich jetzt). Diese schwammen genau so an der Oberfläche des Daseins wie wir.
Innerlich fühlte ich mich freilich nie glücklich, mochte ich äusserlich noch so lachen. Es nagte immer ein unbestimmtes ‘Etwas’ an mir. Ich hätte gewollt, dass nach
dem Tode, der selbstredend noch lange ausbleiben sollte, alles aus wäre.
Aber so ist es, wie ich einmal als Kind in einer Predigt sagen hörte, dass Gott alles Gute, das ein Mensch vollbringt, belohnt. Wenn er es im Jenseits nicht
vergelten kann, tut er es auf Erden.
Ich machte unerwartet eine Erbschaft (von Tante Lotte). Meinem Mann glückte es, sein Gehalt bedeutend zu vermehren. Ich konnte unsere neue Wohnung reizend einrichten. Das Religiöse
dämmerte nur noch ferne.
Die Kaffeehäuser in der Stadt, die Hotels, wo wir auf Reisen einkehrten, brachten uns Gott nicht nahe. Alle, die dort verkehrten, lebten wie wir, von aussen nach innen, nicht von innen nach aussen.
Besuchten wir auf Ferienreisen einen berühmten Dom, suchten wir uns am blossen Kunstgehalt der Meisterwerke zu laben.
Den religiösen Hauch, den sie, besonders die mittelalterlichen, ausstrahlten, verstand ich dadurch zu neutralisieren, dass ich mich über irgend einen Nebenumstand der Besichtigung zu ärgern verstand.
Einen unsauber gekleideten oder unbeholfenen Klosterbruder, der uns führte: – den ‘Skandal’, dass fromm sein wollende Mönche Likör verkaufen; das ewige Gebimmel zum Gottesdienst, wo es doch nur ums Geldmachen gehe.
Hölle?
So wusste ich die Gnade, sooft sie anklopfte, immer wieder abzuweisen.
Besonders liess ich meinem Unmut freien Lauf bei gewissen altertümlichen Höllendarstellungen, auf Friedhöfen oder anderswo, wo der Teufel die Seelen in Rot- und Weissglut röstet, und seine Genossen mit langen Schwänzen ihm neue Opfer herbeischleppen.
Klara, die Hölle kann verzeichnet, sie kann nicht übertrieben werden!
Das Höllenfeuer habe ich stets besonders aufs Korn genommen. Du weisst, wie ich dir bei einem Gespräch darüber einst ein Streichholz unter die Nase hielt und höhnte: Riecht es so? Du bliesest die Flamme rasch aus.
Hier löscht sie niemand. Ich sage dir: Feuer, wovon die Bibel spricht, heisst nicht Gewissensqual. Feuer heisst ‘Feuer’. Es ist wörtlich zu verstehen, was jener gesagt hat: „Weichet von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer!” Wörtlich!
Wie kann der Geist vom stofflichen Feuer berührt werden, fragst du. Wie kann auf Erden deine Seele leiden, wenn du den Finger in die Flamme hältst? Es brennt ja auch
nicht die Seele; doch welche Qual verspürt der ganze Mensch! Ähnlich sind wir hier seelisch ans Feuer gebunden, unserem Wesen nach und unseren Fähigkeiten nach.
Unsere Seele entbehrt ihres natürlichen Flügelschlages: wir können nicht denken, was wir wollen und nicht wie wir wollen.
Schau nicht blöd auf diese Zeilen; denn dieser Zustand, der euch nichts sagt, versengt mich, ohne mich zu verzehren.
Unsere grösste Qual besteht darin, genau zu wissen, dass wir Gott nie schauen werden. Wie das peinigen kann, da es einem auf Erden so gleichgültig war?
Solange das Messer auf dem Tisch liegt, lässt es einen kalt. Man sieht seine Schärfe; fühlte sie nicht. Doch führe das Messer ins Fleisch und du schreist auf vor Schmerz.
Jetzt fühlen wir Gottes Verlust; vorher sahen wir ihn nur.
Nicht alle Seelen leiden gleichermassen. Je boshafter und grundsätzlicher jemand gesündigt, um so schwerer wuchtet auf ihm Gottes Verlust, würgt ihn die
missbrauchte Kreatur.
Die verdammten Katholiken leiden mehr als Andersgläubige, weil sie meist mehr Licht und Gnade empfingen und zertraten.
Wer mehr gewusst hat, leidet härter, als wer weniger erkannte.
Wer aus Bosheit gesündigt, leidet schärfer, als wer aus Schwäche fiel.
Aber keiner leidet mehr, als er es verdient hat.
Oh, dass dies nicht wahr wäre, so dass ich einen Grund zum Hassen hätte!
Du hast mir einmal gesagt, niemand komme in die Hölle, ohne es zu wissen. Einer Heiligen sei dies geoffenbart worden. Ich lachte darüber, verschanzte mich aber dann doch wieder hinter diese
Erklärung. So wird nötigenfalls Zeit genug zu einer Schwenkung bleiben, sagte ich mir im stillen.
Der Ausspruch stimmt. Ich kannte vor meinem jähen Ende die Hölle zwar nicht so, wie sie ist. Kein Irdischer kennt sie.
Aber ich war mir genau bewusst: Wenn du stirbst, gehst du gegen Gott ins Jenseits hinüber. Du wirst die Folgen tragen.
Ich machte nicht kehrt, wie schon gesagt, fortgespült von der Gewohnheit. Aus jener Gleichmässigkeit heraus, mit der die Menschen je älter, je mehr handeln.
Mein Tod
Mein Tod trat so ein. Vor einer Woche wars – ich spreche nach eurer Zählung, denn am Schmerz gemessen, könnte ich ebensogut schon 10 Jahre in der Hölle brennen – vor einer Woche also machten mein Mann und ich an einem Sonntag den für mich letzten Ausflug.
Strahlend war der Tag angebrochen. Ich fühlte mich wohl wie selten. Ein unheimliches Glücksgefühl durchrieselte mich. Da plötzlich, bei der Heimfahrt, wurde mein Mann von einem heranbrausenden Auto geblendet. Er verlor die Führung.
Jessses (= Jesus!) – durchzuckte es mich. Nicht als Gebet, nur als Schrei. Ein zerquetschter Schmerz presste mich zusammen. – Verglichen mit den jetzigen, eine Bagatelle. Dann schwanden
mir die Sinne.
Seltsam, an jenem Morgen war in mir unerklärlicherweise der Gedanke aufgestiegen: Du könntest wieder einmal in die Messe. Es klang wie ein Flehen. Klar und
bestimmt schnitt mein „Nein” den Gedankenfaden ab. „Damit muss endlich Schluss gemacht werden. Ich übernehme alle Folgen”. Jetzt trage ich sie.
Was nach meinem Tode geschah, wirst du wissen. Das Schicksal meines Mannes, das meiner Mutter, was mit meiner Leiche vorging und der Hergang meines Begräbnisses sind mir in den Einzelheiten durch
natürliche Erkenntnis, die wir hier haben, bekannt.
Was sonst auf Erden vorgeht, wissen wir nur verschwommen. Was uns aber irgendwie nahelag, kennen wir. So sehe ich auch deinen Aufenthalt.
Ich selber erwachte im Augenblick meines Hinscheidens jäh aus dem Dunkel. Sah mich wie von grellem Licht umflutet. Es war am gleichen Ort, wo meine Leiche lag. Es geschah wie im Schauspielhaus,
wenn mit einmal die Lampen im Saale verlöschen; der Vorhang auseinanderrauscht; schaurig beleuchtet eine ungeahnte Szenerie sich auftut.
Die Szenerie meines Lebens. Wie in einem Spiegel zeigte meine Seele sich mir selbst. Die zertretenen Gnaden von Jungend auf, bis zum letzten „Nein ” Gott gegenüber.
Mir ward zumute wie einem Mörder, dem während der Gerichtsverhandlung sein entseeltes Opfer vorgeführt wird. – Bereuen? Mich schämen?! Nie!
Aber auch auszuhalten vermochte ich es nicht unter den Augen des von mir verworfenen Gottes.
So blieb nur eines, die Flucht. – Wie Kain floh vor Abels Leiche, so riss es meine Seele vor diesem Anblick des Grauens hinweg.
Das war das besondere Gericht!
Der unsichtbare Richter sprach: „Weiche!”
Da fuhr meine Seele wie ein schwefelgelber Schatten hinab an den Ort ewiger Qual.
Nach dem Ende des Briefes ...
So endete Annis Brief. Die letzten Worte waren fast unleserlich. Da, was war das? In den scharfen Akzent der Zeilen, die ich zu lesen geglaubt, klang mild ein Glockenton.
Ich fuhr auf. Ich lag noch in meinem Zimmer. Das Frührot blickte durchs Fenster. Von der Pfarrkirche klang das „Aveläuten” herüber.
Also war alles nur ein Traum gewesen? – Nie fühlte ich je den Trost des „Engelgrusses”, wie nach diesem Traum.
Langsam betete ich die drei „Gegrüsset”. Da wurde es mir ganz klar: An ihr musst du festhalten, an der gebenedeiten Mutter des Herrn, Maria kindlich verehren, willst du nicht das Los erleiden, das dir – wenn auch nur im Traume eine Seele geschildert, die Gott nie schauen wird.
Noch zitternd von der schrecklichen Nacht stand ich auf, kleidete mich hastig an, eilte stiegenab in die Hauskapelle. Das Herz pochte mir bis zur Kehle hinauf. Die
mir zunächst knieenden wenigen Gäste sahen mich wohl an. Aber sie mochten sich denken, weil ich über die Stiege gelaufen, scheine ich so ‘erhitzt’.
Eine gütige ältere Dame aus Budapest, leidgeprüft, gebrechlich wie ein Kind, kurzsichtig, doch eifrig im Gottdienen und weitsichtig in geistlichen Dingen, meinte am
Nachmittag im Garten lächelnd zu mir: „Fräulein, der Heiland will nicht im Schnellzug bedient sein”.
Aber dann gewahrte sie gleich, dass etwas anderes mich bewegt hatte und noch bewegte. Begütigend fügte sie bei: „Nichts soll dich ängstigen – Sie kennen das Sprüchlein der heiligen Theresia? – Nichts dich erschrecken, Alles vergeht – Gott bleibt derselbe – Geduld erreicht alles – Wer Gott besitzt – dem kann nichts fehlen – Gott allein genügt!”
Während sie das leis und so gar nicht lehrhaft flüsterte, war mir, als lese sie in meiner Seele. „Gott allein genügt!”
Ja, er soll mir genügen, hienieden und drüben. Ich will ihn dort einst besitzen, mag es hier noch so viele Opfer kosten.
Ich will die Prüfungen des Erdenlebens bestehen und an der Liebe zu Gott festhalten, damit ich, Ihn immer besitze, der allein Friede, Freude und Glück ist, während alle Erdenfreuden vergehen.
Bete den Rosenkranz der Ungeborenen - so wirst du Seelen retten und Frieden finden!
Rosenkranz siehe:
Der Rosenkranz der Ungeborenen - Rosenkranz der Ungeborenen (gebete-die-helfen.info)